Sozialismus von unten
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Wenn sich der Rauch verzieht...

Frank Eßers

Perspektivlosigkeit, Armut und Gewalt in Ländern wie Afghanistan sind die Folgen der Politik der herrschenden Eliten dieser Welt. Sie sind der Nährboden für die Gewalt, der am 11. September tausende Menschen in New York zum Opfer fielen. Die Antwort liegt im kollektiven Kampf gegen die "Globalisierung von oben" und das kapitalistische System. Terrorismus schadet diesen Kampf, behauptet Frank Eßers.

Nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon wurde das Bild vermittelt, daß Armee und Regierung in den USA für Frieden, Wohlstand und Demokratie kämpfen. Die Taliban hingegen würden gnadenlos zum "heiligen Krieg" rüsten. Das ist eine Lüge. George W. Bush will mit modernsten Waffen eines der ärmsten Länder der Erde attackieren. Die US-Regierung hat für ihre Angriffe bereits 25 Milliarden Dollar bereitgestellt. Das ist 30 mal soviel, wie die acht mächtigsten Staaten der Welt, die G8, in Genua für die Bekämpfung von Aids zur Verfügung stellen wollten. Aids tötet täglich so viele Menschen, wie im World Trade Center umkamen. Täglich sterben zudem 19.000 Kinder weltweit an leicht heilbaren Krankheiten, weil sie in bitterer Armut leben und ihnen Medikamente und ausreichende Nahrung nicht zugänglich sind.

Wurzeln des Terrors

Anfang der 90er Jahre wurden vom Internationalen Währungsfond (IWF) sogenannte "Erweiterte Strukturanpassungsprogramme" eingeführt, die für die 60 ärmsten Länder der Erde entwickelt. Mit diesen Programmen zwang der IWF diese Länder, ihre Märkte zu öffnen, damit Großkonzerne billig an ihre Rohstoffe gelangen konnten. Auf diese Weise wurde und wird noch das Letzte herausgepreßt, was diese Länder besitzen.

Im vergangenen Jahrzehnt bombardierte die US-Regierung Krankenhäuser, Fabriken und Schulen im Irak ,um den Zugang westlicher Konzerne zu billigem Öl zu garantieren. Die damalige Regierung Kohl finanzierte diesen Krieg mit.

In Serbien wurden zehntausende unschuldige Menschen bombardiert. Das deutsche Militär beteiligte sich erstmals nach 1945 wieder an solchem organisierten Abschlachten. Nach dem Sturz von Milosevic wurde von der neuen serbischen Regierung ein Privatisierungsgesetz verabschiedet, das den Ausverkauf der ehemaligen Staatsbetriebe an den Westen ermöglicht. Die Deutsche Bahn begehrt das serbische Eisenbahnnetz und die Bahnhöfe, VW ist an Zastava interessiert, die Deutsche Telekom will die serbische Telekom schlucken und "IWF und Weltbank würgen das Land mit Knebelkrediten".

Zwei Währungen

General a.D. Klaus Naumann, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr und ehemaliger Vorsitzender des Militärausschusses der NATO, stellte schon 1993 klar, worum es wirklich bei solchen "humanitären Kriegseinsätzen" geht. Es gäbe, so Naumann, nur noch "zwei Währungen auf der Welt: Wirtschaftliche Macht und die militärischen Mittel, sie durchzusetzen". So sieht die Globalisierung aus, für die Konzerne und Regierungen der reichen Staaten unter Einsatz von Waffengewalt kämpfen. Perspektivlosigkeit, Armut und Massensterben sind die Folgen für die Bevölkerungen der betroffenen Länder. Sie sind der Nährboden für den Haß und den Terror, dem 5.000 Menschen in New York zum Opfer fielen.

Diejenigen, die der Anschlag traf, vor allem einfache Angestellte, schlechtbezahlte Reinigungskräfte und Rettungskräfte, sind für die Politik der US-Regierung nicht verantwortlich. Wir trauern um diese Menschen. Doch die Antwort auf den Anschlag darf nicht lauten, noch mehr Unschuldige zu töten. Das sehen die herrschenden Eliten der NATO-Staaten ganz anders. George Bush forderte gar die Auslöschung von "Schurkenstaaten" und die rot-grüne Regierung unterstützt ihn in diesem Kurs.

Offensichtlich ist für die Herrschenden der sogenannten zivilisierten Länder eine Art von Terrorismus gerechtfertigt: Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg. Der Terrorismus derjenigen hingegen, die sich dagegen wehren, wird als barbarisch, unzivilisiert und mittelalterlich verurteilt.

Globalisierungskritiker = Osama Bin Laden?

Alle Maßnahmen, die seit dem Anschlag von den westlichen Regierungen gegen den Terrorismus getroffen und geplant wurden, werden zu noch mehr Toten und verschärfter Unterdrückung führen. Der weltweiten antikapitalistischen Bewegung, die seit den Protesten in Seattle Ende 1999 bekannt für ihren Kampf gegen Armut, Sozialabbau, Massenentlassungen und Ausbeutung geworden ist, hat der Anschlag sogar direkt geschadet.

Italiens ultrarechter Ministerpräsident Berlusconi verglich die sogenannten "Globalisierungsgegner" mit Terroristen: Der Protest gegen den G8-Gipfel in Genua im Juli habe sich gegen die westliche Zivilisation gerichtet. Zu den Motiven der islamischen Terroristen von New York und Washington habe, laut Berlusconi, auch gehört, den Einfluß der westlichen Zivilisation zu stoppen . Berlusconi meint mit westlicher Zivilisation offensichtlich den Kapitalismus und nutzt den Terroranschlag als willkommenen Anlaß, um die Repressionsinstrumente des Staatsapparates beschleunigter als bisher auszubauen.

Von dieser Taktik hat sich ein Teil der Linken schrecken lassen. Zum EU-Finanz- und Wirtschaftsministertreffen in Lüttich am 21. September wurde die Mobilisierung ausgesetzt. Die Proteste zum Gedenken an Carlo Guliano, der in Genua dem Staatsterrorismus zum Opfer fiel (er wurde von der Polizei erschossen), fielen aus. Auch der bekannte französische Protestorganisator Jose BoveŽ forderte, vorerst alle Demonstartionen abzublasen. Der Staat nutzt die allgemeine Verwirrung in der Bevölkerung, um jede Form des Widerstandes gegen die ungerechte Weltordnung zu kriminalisieren.

Innere Sicherheit: Angriff auf uns alle

Berlusconi steht mit seinem Vorstoß nicht alleine. Am 13. September verabschiedete der US-Senat ein neues Terrorismusbekämpfungsgesetz, das eine weitgehende Polizeiüberwachung des Internets legalisiert. Die Polizeibehörden erhalten insgesamt größere Befugnisse und das Strafrecht wird verschärft. Bis Anfang Oktober wurden 540 Verdächtigte verhört und 4.407 Personen vorgeladen. Insgesamt befanden sich zu diesem Zeitpunkt 439 Menschen im Zuge der Großfahndung in Haft . Es wird sich herausstellen, daß die meisten, wenn nicht gar alle, mit dem Terroranschlag nichts zu tun hatten. Doch der Öffentlichkeit wird vermittelt, daß hart durchgegriffen wird - egal gegen wen.

In Deutschland reagierte Innenminister Schily mit einem Abbau demokratischer Grundrechte und dem Ausbau rassistischer Gesetze. Bereits beschlossen wurde eine Ausweitung des Paragraphen 129a Strafgesetzbuch, der die Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung unter Strafe stellt. Dieser Paragraph wurde 1976 gegen die Rote Armee Fraktion eingeführt. Er wurde unter anderem benutzt, um die gesamte Linke zu überwachen und führte zu willkürlicher Kriminalisierung derjenigen, die sich gegen den Kapitalismus in der BRD auflehnten.

Nun soll dieses Gesetz um einen Paragraphen 129b ergänzt werden, der Unterstützer ausländischer Organisationen kriminalisiert, die als terroristisch gelten. Wenn sich zum Beispiel Kurden in Deutschland politisch organisieren, um gegen den Terror durch die türkische Regierung zu protestieren, dann werden sie wohl zukünftig als Terroristen bestraft. Das Verbot der PKK war nur ein kleiner Vorgeschmack dieser Politik. Die Türkei ist ein wichtiger NATO-Partner und Außenminister Fischer sähe sie gerne als Teil der EU. Politisch aktive Kurden in Deutschland trüben diese Partnerschaft. Nachdem Schily für die Vorlage eines diskriminierenden Zuwanderungsgesetzes scharf kritisiert wurde, sind kritische Stimmen nach dem Anschlag deutlich weniger und leiser geworden.

Beschlossen ist ebenfalls die Wiedereinführung der Rasterfahndung. Sie war, genau wie Paragraph 129a, ein politisches Instrument des Staatsapparates im Kampf gegen die Linke in den 70er Jahren. Vor ein paar Jahren wurde sie eingestellt, weil sie aufwendig aus Sicht des Staates nicht effektiv genug war.

Auch über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren wird beraten. Wer an die blutigen Übergriffe des deutschen Militärs gegen die Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik denkt, dem laufen bei diesem Gedanken kalte Schauer über den Rücken. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Helmut Wieczorek (SPD), forderte gar eine Nationalgarde aus Bundeswehr und Bundesgrenzschutz. Noch eins drauf legte Bayerns Ministerpräsident und Oberfundamentalist Stoiber, der einen Nationalen Sicherheitsrat, also eine Notstandsregierung forderte. Diese Liste ließe sich noch um einige Widerlichkeiten verlängern.

Nach dem Anschlag ist vor dem Anschlag

Den Teil der deutschen Bevölkerung, der bereit ist, Einschnitte in seine Freiheiten hinzunehmen, um in vorgeblicher Sicherheit zu leben, würde es überraschen, daß viele der oben genannten Maßnahmen schon vor dem Anschlag auf das World Trade Center im Gespräch waren. Besitzen Bush, Schily und Stoiber hellseherische Qualitäten? Mitnichten. Ihnen geht es nicht nur und auch nicht primär um Leute wie bin Laden. Es geht ihnen um die Sicherung ihrer Herrschaft angesichts der Bedrohung durch eine antikapitalistische Linke, die dazu noch große Sympathien in der Bevölkerung hat.

Bereits Anfang September legte das EU-Parlament einen Vorschlag vor, der vor allem die Ereignisse in Göteborg und Genua zum Anlaß nahm, um einen erweiterten Terrorismusbegriff einzuführen. Im Artikel 3 der Rahmenentscheidung der EU-Minister zur Bekämpfung des Terrorismus wird definiert, was künftig darunter zu verstehen sei: "Mord, Körperverletzung, Entführung oder Geiselnahme, Erpressung, Diebstahl oder Raub; die ungesetzliche Beschädigung von Regierungseinrichtungen, öffentlichen Verkehrsmitteln, Infrastrukturen, öffentlichen Plätzen und Eigentum; die Herstellung, der Besitz, der Kauf, Transport oder die Belieferung von Waffen oder Sprengstoffen; das Freisetzen giftiger Substanzen, Brandstiftung, das Verursachen von Explosionen oder Fluten, die Gefährdung von Leuten, Eigentum, Tieren oder der Umwelt; die Beeinträchtigung oder Verhinderung der Wasser- und Stromversorgung sowie anderer wichtigen Ressourcen; Angriffe durch die Verwendung eines Informationssystems; die Drohung, diese Vergehen zu begehen; das Werben, Unterstützen oder die Teilnahme an einer terroristischen Gruppe".

Zu den staatlichen Sanktionen gehören nicht nur Haftstrafen, sondern auch , - hergehört! - Sozialdienste und die Verhängung von Geldbußen. Sozialdienste und Geldbußen für Terroristen? Das sieht eher danach aus, als sollten unter anderem friedliche Castorgegner zu Terroristen gestempelt werden, sobald sie sich auf die Schienen setzen (=Gefährdung von Leuten und Eigentum?). Sobald sie sich selbst als lebende Hindernisse ins Gleisbett betonieren, käme da noch das Vergehen eines "Terroranschlages" auf die Infrastruktur der Deutsche Bahn AG hinzu.
Militarisierung der Innenpolitik und Durchsetzung der Globalisierung mit militärischen Mitteln werden als Terrorismusbekämpfung getarnt. Seit dem 11. September setzen die Herrschenden nur offener und beschleunigter das um, was sie schon seit längerem tun bzw. planen. Alle diese Maßnahmen sind eine Reaktion auf die ökonomische und ideologische Krise, in der sich der Kapitalismus weltweit befindet - und auf den wachsenden Widerstand.

Marxismus und Terrorismus

Wenn Osama Bin Laden die gesamte amerikanische Bevölkerung zu legitimen Zielen für Terroranschläge erklärt und gesetzt den Fall, er ist wirklich der Drahtzieher, dann handelt er genauso zynisch wie diejenigen, die nun der gesamten afghanischen Bevölkerung den Krieg erklärt haben.

Aber selbst wenn es nur Kriegstreiber wie George W. Bush getroffen hätte, wären damit Ausbeutung, Unterdrückung, Armut und Krieg nicht beseitigt worden. Sie sind das Produkt eines globalen Kapitalismus, nicht einzelner beteiligter Vertreter der herrschenden Klasse, egal wie brutal oder widerwärtig diese auch sind. "Der kapitalistische Staat selbst stützt sich nicht auf Minister und kann nicht mit ihnen beseitigt werden. Die Klassen, denen er nützt, werden immer neue Leute finden", schrieb der russische Marxist und Revolutionär Leo Trotzki in einem Aufsatz "Über den Terror".

Terroristische Anschläge sind "sehr auffällig in ihrer äußeren Form (Mord, Explosion usw.), aber vollkommen harmlos, was den Bestand der sozialen Ordnung angeht [...] der Rauch einer Explosion verzieht sich, die Panik verschwindet, der Nachfolger des ermordeten Mministers tritt in Erscheining, das Leben verläuft wieder im alten Trott, das Rad der kapitalistischen Ausbeutung dreht sich wie zuvor; nur die Unterdrückung durch die Polizei wird grausamer und dreister". Unmittelbare Auswirkung des Terroranschlags in Deutschland war, daß breite Teile der Bevölkerung an die Seite "ihrer" Regierung rückten, als sie unschuldige Menschen in den USA starben sahen. Votierten während des Kosovokriges 21 Prozent für NATO-Bodentruppen mit Beteiligung der Bundeswehr, so sprachen sich nach dem 11. September 32 Prozent für deutsche Kampfeinsätze aus. Terrorismusbekämpfung ist zum zweitwichtigsten Thema (nach Arbeitslosigkeit) geworden und Innenminister Schilys Popularität stieg prompt.

Elitarismus

Terrorismus stiftet nicht nur Verwirrung, sondern fördert Illusionen. Diejenigen "Globalisierungsverlierer" in den unterdrückten Staaten, die Osama Bin Laden als islamischen Che Guevara feiern, sehen in den Anschlägen eine erfolgreiche Strategie der Gegenwehr.
Farooq Tariq, Generalsekretär der pakistanischen Labour Party berichtet über die Stimmung in Pakistan: "Heute, am 17. September besuchte ich das Dorf, in dem ich geboren wurde [...] Ein Dorfbewohner erzählte mir, daß die Ereignisse in den USA so seien, als wenn ein kleiner Bauer aus einem Dorf aufstehen und ohne richtige Waffen gegen den Feudalherrn kämpfen würde. Keiner aus dem Dorf hätte je daran gedacht, den Feudalherrn zu bekämpfen. Und nun hätte dieser Dorfbewohner den Kampf gewonnen. Darüber sei das ganze Dorf sehr glücklich. Die USA seien wie ein solcher Feudalherr, der den Kampf gegen jemanden ohne richtige Ressourcen für einen solchen Kampf verloren hätte. Das müßten wir feiern. Als ich die Frage stellte, was mit den unschuldigen Amerikanern sei, die ihr Leben verloren haben, war die Reaktion, daß ihm diese Menschen leid täten. Was aber sei mit den Millionen Palästinensern, Sudanesen, Vietnamesen und anderen, die ebenfalls [durch die Schuld der US-Regierung, F.E.] ihr Leben verloren haben?"

Terroristen handeln stellvertreterisch für die unterdrückten Massen, als deren Retter in der Not sie sich präsentieren. Durch ihre Einzelaktionen wird das kapitalistische System nicht gestürzt. Es werden Hoffnungen auf Erlösung geschürt, denen Desillusion und Apathie folgen, wenn das Räderwerk des Unterdrückungsapparates nach kurzem Knirschen schneller und unerbittlicher als bisher weiter läuft.

"Je 'effektiver' Terrorakte sind, je größer ihre Auswirkungen ist, desto mehr verringern sie das Interesse der unterdrückten Massen an Selbstorganisation und Selbsterziehung", schrieb Trotzki über den Elitarismus selbsternannter Befreiungskämpfer. "Eben deswegen ist individueller Terror in unseren Augen [aus Sicht revolutionärer Sozialisten, F.E.] unzulässig: denn er schmälert die Rolle der Massen in ihrem eigenen Bewußtsein, denn er söhnt sie mit ihrer eigenen Machtlosigkeit aus und richtet ihre Augen und Hoffnungen auf einen großen Rächer und Befreier, der eines Tages kommen wird und seine Mission vollendet".

Klasse ist Masse

Trotzki schlug eine Strategie vor, die im Kampf für den Sturz des Kapitalismus auf die Selbstemanzipation der breiten Massen, der Arbeiterklasse setzt. Dem lag Karl Marx' Erkenntnis zugrunde, dass die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiter und Arbeiterinnen selbst sein könne. Im Kapitalismus ist die Masse der Bevölkerung gezwungen, ihre Arbeitskraft für Lohn oder Gehalt als abhängig Beschäftigte an Unternehmen zu verkaufen. Auf dem Reichtum, den ihre Arbeitskraft schafft, beruht die Macht der Kapitalisten. Sie arbeiten kollektiv in Fabriken oder Büros, und nur ihr kollektiver Widerstand trifft das Ausbeutungssystem, dem sie unterworfen sind, ins Herz. Das gilt auch für viele, die in der modernen Landwirtschaft arbeiten.

"Ein Streik", so Trotzki, "sogar von mäßigem Umfang, hat soziale Konsequenzen: Stärkung des Selbstvertrauens der Arbeiter, Anwachsen der Gewerkschaften, und nicht selten sogar ein Fortschritt der Produktionstechnik. Der Mord an einem Fabrikbesitzer bewirkt nur Folgen polizeilicher Natur, oder einen Wechsel der Besitzer, völlig ohne jede soziale Bedeutung". Der Streik ist "die Kampfmethode, die direkt aus der schöpferischen Rolle des Proletariats [der Arbeiterklasse, F.E.] in der modernen Gesellschaft herrührt".

Die Gesellschaft, für die wir kämpfen, ist eine, in der die Mehrheit der Menschen, die Arbeiterklasse, die Kontrolle übernehmen und die Gesellschaft nach ihren eigenen Interessen selbst gestalten. Eine solche Gesellschaft kann nicht durch eine elitäre Minderheit, sondern nur durch den massenhaften Kampf der Arbeiterklasse erreicht werden.

Im Prozeß des Klassenkampfes, durch Streiks und andere kollektive Formen des Widerstandes, beginnen Menschen, die kapitalistische Ideologie nicht nur in Frage zu stellen, sondern sie fangen an, sie über Bord zu werfen. Menschen beginnen, sich zu "verändern, um die Gesellschaft neu zu gründen", wie Karl Marx es ausdrückte. Selbstaktivität der Massen ist entscheidend, um Selbstvertrauen und die Fähigkeit zu erlangen, die Gesellschaft umzugestalten und das eigene Leben zu bestimmen.

Wir müssen "lernen zu sehen", argumentierte Trotzki, "daß all die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, alle Beleidigungen, denen der menschliche Körper und Geist ausgesetzt sind, entstellte Auswüchse und Äußerungen der bestehenden sozialen Ordnung sind, um unsere ganze Kraft auf einen gemeinsamen Kampf gegen dieses System zu richten[...]".

Terrorismus hingegen ist nicht einfach eine andere Form des Kampfes gegen Unterdrückung, sondern er behindert diesen Kampf. Methoden und Mittel, die zum Ziel haben, künstlich die Entwicklung der Gesellschaft voranzutreiben und Sprengstoff oder ähnliches an die Stelle ungenügenden revolutionären Bewußtseins der Bevölkerung zu setzen, versagen, weil sie dem Kampf für gesellschaftliche Veränderungen unter kapitalistischen Bedingungen nicht gerecht werden.

Wenn Unterdrückte sich mit Gewalt gegen ihre Unterdrücker wehren, dann aus dem Grund, weil die herrschenden Eliten ihre Macht, ihren Reichtum und ihre Privilegien selbst mit Gewalt, Terror und Krieg verteidigen. Ihr System des Terrors kann allerdings nur durch den gemeinsamen, solidarischen Kampf der Arbeiterklasse gestürzt werden und nicht stellvertretend durch eine Elite.





Sozialismus von unten, Nr. 7, Herbst/Winter 2001