Sozialismus von unten
Magazin für antikapitalistische
Debatte & Kritik

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Nr. 6, Frühjahr 2001

[Inhaltsverzeichnis SVU Nr.6]


Noam Chomsky: Profit over People. Neoliberalismus und globale Weltordnung, Hamburg, Europa-Verlag 2001, 158 S., 24,50 DM

Demokratie, Stacheldraht und Profitwirtschaft

Noam Chomsky ist von Hause aus eigentlich Sprachwissenschaftler. Aber seit den 60er Jahren veröffentlicht der Professor des renommierten Massachusetts Institute of Technology neben seinen linguistischen Abhandlungen auch politische Texte. Das erste große Thema Chomskys, "den man als Anarchisten, oder vielleicht genauer als Libertären bezeichnen könnte", war der brutale imperialistische Feldzug der USA in Vietnam. Daraus ergaben sich einige kritische Auseinandersetzungen mit der Rolle und den Funktionsweisen der Massenmedien, der "Bewußtseinsindustrie". Anfang der 90er erschien "Manufacturing Consent" (dt. "Zustimmung herstellen") als wichtigstes Werk aus dieser Reihe.

Im letzten Jahr nun stellte Chomsky gleich zwei Bücher zusammen, die sich in die aktuelle kapitalismuskritische Debatte mischen: "Der neue militärische Humanismus" und "Profit over People". Letzteres war in der deutschen Ausgabe nach wenigen Tagen vergriffen.

"Der Neue militärische Humanismus" behandelt mit dem Abstand eines Jahres den Vor- und Ablauf der NATO-"Intervention" im Kosovo und konfrontiert die Protagonisten und Propagandisten der Neuen Weltordnung mit ihren eigenen, von den bürgerlichen Medien gefeierten Worten und Taten. Chomsky stellt der Menschenrechtsrhetorik der Dritte-Weg-Gefährten Blair, Clinton und Fischer zum einen ihr Schweigen zu anderen "humanitären Katstrophen", die ihre eigenen Regierungen maßgeblich mitzuverantworten haben (Kurdistan, Indonesien, Lateinamerika), gegenüber, und zum anderen die Zerstörungswut und den Zynismus ihrer Militärmaschinerie, die jenen Diktaturen, die sie bekämpft, in nichts nachsteht. Seine quellenreiche Darstellung macht erschreckend deutlich, daß auch nach dem Zusammenbruch des Ostblocks die Zielsetzungen der "ethischen Außenpolitik" (J. Fischer) des Westens sich an ähnlichen "wahrlich humanen Werten und Prinzipien" (V. Havel) orientieren wie Napoleon, Attila der Hunne und die Kolonialpolitik der letzten zwei Jahrhunderte. Bezeichnenderweise bedeutet das vom englischen "democracy" abgeleitete Wort in der Landessprache Haitis "Stacheldraht". Für Freiheit und Demokratie sorgt dort von jeher die US-Army. "Ich denke, daß die Auswahl [der Beispiele] fair ist und ein ernüchterndes Bild dieser Leitmotive und der darauf beruhenden zukünftigen Entwicklung zeichnet, die einzig und allein durch widerständiges Handeln verändert werden kann."

Was an Lügen über den Kosovo-Krieg noch nicht aufgedeckt worden ist, findet sich in diesem Buch. Chomskys Stärke ist dabei – wie üblich – die Menge und Qualität seiner Quellen und die Geradlinigkeit seiner Argumentation. Schwächer fällt – wie üblich – die Analyse der Beweggründe der "Reichen und Mächtigen" aus. Chomskys "Herren des Universums" erscheinen mitunter ein wenig grundlos niederträchtig und machtgeil.

In dieser Hinsicht hat "Profit over People" wesentlich mehr zu bieten. Das Buch ist untertitelt mit "Neoliberalismus und globale Weltordnung" und beschäftigt sich mit US-Außenpolitik unter ökonomischen Gesichtspunkten. Hier tauchen dann solche Begriffe auf wie "Kapitalismus", "Klassenanalyse" und "Ausbeutung". In "Profit over People" geht es nicht mehr abstrakt um "Macht", sondern konkret um Kontrolle über Menschen und Reichtum. An empirischen Beispielen zeigt Chomsky, welche grausamen Konsequenzen die von NATO/G7/WTO/IWF erzwungene Umformung der Gesellschaft hat, wenn die wirren Konzepte des Neoliberalismus gegen die Menschheit losgelassen werden.

Auf die Gründe für das Comeback des in der Weltwirtschaftskrise vollständig diskreditierten (Neo-)Liberalismus – die Krise des Keynesianismus in den 1970’ern – geht Chomsky zwar nicht ein, wohl aber auf seine Folgen, die gerade in den USA und Großbritannien niemandem mehr entgehen. "Berichten des Wall Street Journal zufolge", zitiert er, "sind ‚Regierungsvertreter enttäuscht, weil es ihnen nicht gelingt, die Wähler davon zu überzeugen, daß die negativen Folgen sie nicht betreffen‘." Seattle lässt grüßen. Es ist auffällig, daß "Profit over People" nach den Protesten gegen die Welthandelsorganisation einen deutlich materialistischen Schwerpunkt hat als frühere Texte Chomskys. Sprachlich wie inhaltlich nähert sich "Profit over People" einer marxistischen Sicht. Die Zitate liefern allen, die sich die neoliberalen Standardwerke nicht im Original antun wollen, das Wichtigste, was man über diese erklärtermaßen asoziale und antipartizipatorische Lehre wissen muß.

Wenn auch in der Analyse teilweise ein wenig oberflächlich, sind Chomskys Bücher mindestens hervorragende Nachschlagewerke für die Untaten und den Zynismus des Systems, in dem wir leben. Sie bieten jede Menge wichtige Argumente für die gegenwärtigen Auseinandersetzungen – und rufen zum Widerstand. "Die Erfolge, die bisher in diesem Kampf [von unten] errungen wurden, sind durchaus ermutigend, und wir haben allen Grund zu der Annahme, daß dies auch in Zukunft so sein wird."

David Maisfeld




Sozialismus von unten, Nr. 6, Frühjahr 2001