Sozialismus von unten
Magazin für antikapitalistische
Debatte & Kritik

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Nr. 6, Frühjahr 2001

[Inhaltsverzeichnis SVU Nr.6]


Sozialistische Studiengruppe: 68: Trau keinem?, Supplement der Zeitschrift Sozialismus, 3/2000, 62 S., 8 DM (Zu bestellen bei: Redaktion Sozialismus, St. Georgs Kirchhof 6, 20099 Hamburg, Tel. 040/280505-65 (Fax -68), E-Mail: artikel@sozialismus.de)

Deutungskampf um 68 und danach

Im Streit um 68 haben wir oft nur von den Ex-Aktivisten à la Fischer & Co. gehört, die heute oben angelangt und nach rechts gegangen sind. Mit 68: Trau keinem? gibt es eine Broschüre, in der sich gegenüber dem Kapitalismus kritisch gebliebene "68er" (meist Professoren) mit kurzen Beiträgen zu Wort melden. Zudem findet man zwei erneut veröffentliche Beiträge der Jahre 1967/68. Aus dieser Broschüre kann man einiges für die politische Arbeit herausziehen, wenn man sie mit dem heutigen Geist von Seattle liest. Das muß vorausgeschickt werden, denn an einigen Stellen findet sich durchaus eine Portion Zynismus, wie sie für die niedergehende Linke der 80er Jahre kennzeichnend war. Nichtsdestotrotz vermitteln die meisten Beiträge den Eindruck, daß heute ein wie auch immer gearteter "Neuer Aufbruch" notwendig und möglich ist.

Die Autoren beschreiben anschaulich, spannend und oft anhand ihrer eigenen Erfahrung, wie die Gesellschaft im Nachkriegsdeutschland wirklich aussah und wie repressiv der Staatsapparat auf die neue Bewegung reagierte. Sie zeigen aber auch, daß die 68er-Bewegung nicht vom Himmel fiel. Vielmehr gab es bereits Anfang und vor allem Mitte der 60er einzelne Aktionen z. B. gegen den Vietnamkrieg oder zur Nazivergangenheit. Allerdings blieben diese vorerst auf eine kleine Minderheit von Aktivisten aus dem universitären Milieu beschränkt. Das Neue an 68 und danach war nicht nur der Aufstieg zur Massenbewegung, sondern auch die Überwindung der zersplitterten Kritik an einzelnen Übeln zu "einer Kritik an den kapitalistischen Produktionsverhältnissen" (S. 9) wie Joachim Bischoff von der Zeitschrift "Sozialismus" schreibt. Die Bewegung von damals forderte also nicht lediglich eine Demokratisierung der Gesellschaft, wie uns Fischer & Co. heute verkaufen wollen. Das Programm trug vielmehr fundamentaleren Charakter: Antikapitalismus. Allerdings: die Entdeckung der Arbeiterklasse durch die antikapitalistische Bewegung infolge ansteigender Klassenkämpfe bleibt in der Broschüre weitgehend unerwähnt.

Von 68 ausgehend, gerät die Rechtsentwicklung der Grünen in Kritik, die von einer "Partei der neuen sozialen Bewegungen (Frieden, Ökologie, Feminismus) zu einer Partei der militärischen NATO-Intervention, des Konsensus mit der Atomindustrie und der Interessensvertretung des kapitalistischen Mittelstandes" (S. 9) geworden sind.

Die Kritik am heutigen Kurs von Rot-Grün ist neben der echten Verteidigung von 68 die größte Stärke der Broschüre. So greift Bodo Zeuner, Hochschullehrer an der FU Berlin, eine rot-grüne Geschichtspolitik an, die darauf aus ist, "das Unabgegoltene der 68er Bewegung einzukassieren und damit tendenziell jede Kritik an einem wilder, globaler und inhumaner wirkenden Kapitalismus und an der umfassender werdenden Überwachung und Unterdrückung der Menschen durch staatliche und private Exekutiven [vollstreckende, ausführende Gewalt, O. K.] mundtot zu machen" (S. 56). Freerk Huisken, Professor für Politische Ökonomie in Bremen, fragt, worauf die Grünen mit ihrer Regierungsbeteiligung stolz sein wollen: "Auf ca. 4 Millionen Arbeitslose, sinkendes Lohnniveau, ‚Kinderarmut’, Neofaschismus, durchgesetzte Ausländerfeindlichkeit, BSE, strahlende AKWs, den Kosovokrieg-Krieg mit oder ohne Uranmunition, den EURO oder einen deutschen IWF-Vorsitz?" (S. 31).

Tatsächlich ist die Welt von heute nicht gerechter oder besser geworden. Vielmehr hat der Kapitalismus Jahrzehnte nach der Revolte auch den letzten Winkel der Erde seiner Verwertungslogik unterworfen. Aber gleichzeitig ist eine neue Revolte im Gang. So merkt Elmar Altvater, Professor der Politikwissenschaft in Berlin, am Ende seines Beitrag an, in "einer offenen, globalisierten Welt sind auch die Protestbewegungen offener, grenzüberschreitend. Die Geschichte der 68er Bewegung kann als eine nationale Geschichte geschrieben werden [...] Die ‚peoples of Seattle’ hingegen sind von vornherein eine globale Bewegung, auch wenn die Auseinandersetzungen jeweils ‚vor Ort’ ausgetragen werden." (S. 6)

Olaf Klenke




Sozialismus von unten, Nr. 6, Frühjahr 2001